“VILLA“ –
Eine Geschichte zum Jugendhaus
Im unten stehenden Artikel zeichnet Michael Kopp mit den Heimatfreunden Malsch die aufregende Zeit und Vorgeschichte, von ca. 1974 bis 2018, der jugendbewegten Villa nach.
Das herrschaftliche Haus wurde in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts auf dem ehemaligen Gewann „Brückenwiesen“, wahrscheinlich vom Besitzer der Malscher Papierfabrik Jäger, Otto Jäger, erbaut. Dessen Sohn Karl betrieb in Bruchsal eine Wellpappenfabrik, die Rohstoffe bezog er aus Malsch.
Otto und seine Schwestern Anna und Frieda und der Prokurist Jakob wohnten in der Villa. 1945 bezogen für einige Monate französische Besatzer ihr Quartier im Haus.
Nach einigen weiteren Jahren bewohnten nur noch die beiden Frauen das große Haus. Nach deren Ableben gelangte am 8.Juli 1981 das Anwesen in den Besitz der Gemeinde, die es wenig später als Jugendhaus zu Verfügung stellte.
Das Streben der Malscher Jugend und der jungen Erwachsenen nach einem ‚Treff‘ im Ort kann durchaus mit der Entwicklung der populären Ariane-Rakete verglichen werden. Mehrere Phasen bzw. Entwicklungsstufen, wo auch Rückschläge zu verzeichnen waren, mussten durchlaufen werden, bis aus dem ‚Rohrkrepierer‘ das Erfolgsmodell von heute wurde.
Vier Stufen seit Mitte der 1970er Jahre wurden gezündet:
Bereits im Zeitraum von etwa 1974 bis ‘77 entstand eine Initiative für ein selbstverwaltetes Jugendhaus, deren Vorsitzender Josef Seekircher war. Vorschläge für einen Standort gab es auch, z.B. beim Rathaus, auf dem jetzigen Parkplatz. Dies ließ sich aber nicht realisieren, sodass Alternativen her mussten. Von ‚Außen‘ bzw. ‚Oben‘ kam der Vorschlag, bereits vorhandene Räume, z.B. kircheneigene, gemeinschaftlich mit anderen Gruppen zu nutzen. Dies war jedoch für eine Mehrheit der Jugendlichen nicht akzeptabel, die dann für den eigenen Entwurf noch über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahre intensiv weiterarbeiteten. Trotz des Engagements, der Ideen und der Bereitschaft, sich vielseitig einzubringen, wurde in der entscheidenden Gemeinderatssitzung die Reißleine gezogen. Der Jugend blieben die eigenen Räume versagt. Dies bedeutete für die Jugend eine herbe Enttäuschung, statt der erhofften Eigenverwaltung wurde Kontrolle angeboten. Dies bedeutete zunächst einen Dämpfer für die Initiative, das Interesse und die Mitarbeit ebbten ab.
Ab Ende 1979 gab es dann doch einen Treffpunkt für junge Leute in Malsch, das “Sit In“ im Keller des Bernhardusheims. In der zweiten Phase waren es hauptsächlich KJG‘ler, die sich engagierten, und nach und nach stießen wieder andere Personen dazu. Der Mitinitiator in der Zeit war Martin Wildemann. Sein Kampfgeist und wahrscheinlich auch seine engen Beziehungen zu Malscher Kirchenvertretern waren in diesen Jahren hilfreich. Dieser Umstand und auch die Mitwirkung dieser sehr homogenen Gruppe aus dem SitIn heraus führten schließlich zu einem Pfarrgemeinderatsbeschluß, der die Gründung des Jugendtreffs ermöglichte. Die vorhandenen KJG-Strukturen konnten genutzt werden, es folgten u.a. Musikveranstaltungen im Theresienhaus, die KJG-Discos, an die sich viele der damals Jungen noch gut erinnern können. Dieses tolle Engagement der jungen Leute gerade in dieser Phase verdient großes Lob, sie alle namentlich zu nennen ist unmöglich. Alle nennen zu wollen hieße mindestens einen zu vergessen. Deswegen geht hier ein Dank stellvertretend ‚nur‘ an Priska, Andreas, Thomas, Roland, Axel, ...
Einen weiteren Schub in den Bemühungen, in Zukunft doch noch ein eigenständiges, möglichst selbstsverwaltetes Jugendhaus zu bekommen, gab es durch den Wechsel im Bürgermeisteramt, als der langjährige Amtsinhaber Hirth von Dieter Süss abgelöst wurde.
Doch recht schnell wurde es vielen einfach zu eng, der Traum von und das Verlangen nach einem eigenständigen ’Zufluchtsort’ für die Malscher Jugend wurde immer stärker. Ein Rückzugsort und ein Platz als selbstsverwaltete, wenig kontrollierte Entfaltungsmöglichkeit wurde herbeigesehnt. Da ergab sich die Situation, dass der Gemeinde Malsch ein ganzes Haus mit einem riesigen Gartengrundstück vermacht wurde. Damit bot sich die Gelegenheit, diesen Nachlass für die Jugend zu verwenden. Es war das imposante Anwesen der Papiermacherfamilie Jäger, mit deren repräsentativem Haus, einer Villa eben.
Endlich wurde Stufe drei gezündet. So nahm der Traum eines eigenständigen Jugendhauses ab 1982/1983 Gestalt an, aus dem ’Jugendhaus Villa Jäger’ wurde mit den Jahrzehnten die ’Villa Jäger’ und schlussendlich war’s die “VILLA“. Die Gründung des Jugendhausvereins erfolgte auch 1983.
Nach ein paar unbedingt notwendigen und auch etwas kostenintensiven Renovierungs- und Modernisierungsarbeiten, welche die Gemeinde durchführen ließ, waren es viele Jugendliche und junge Erwachsene, die mit enormem zeitlichen und kräftezehrendem Einsatz ihr neues Domizil fit für die anschließende Nutzung machten. Es wurde fleißig gehämmert, Elektroleitungen verlegt, gefliest, gezimmert, tapeziert und gemalt. Und das im ureigenen Sinn. So kam eine enorme Eigenleistung der Jugendlichen zu Stande.
Es wurden nicht nur Tapeten und Holz gestrichen, sondern es entstanden einige sehr schöne Kunstwerke durch die neuen Hausherren. Einige dürften die Zeit sogar überdauert haben, auf der kahlen Gipswand oder auf übertapezierten Flächen.
Zunächst wurde das Jugendhaus in Eigenregie von dem eigens gegründeten Verein betrieben. Diese Eigenverwaltung auf Probe wurde durch externe Kräfte unterstützt, z.B eine Gruppe um Herrn Hettel. Eine schöne und erlebnisreiche Zeit, aber manchmal sehr chaotisch. Auf sanften Druck der Gemeinde hin wurde im Jahr 1984 dem IB die Trägerschaft für die Villa übertragen, sonst änderte sich eigentlich nichts. Auch eine schöne Zeit, wie ich rückblickend feststellen kann. Wenig von uns zugelassene Kontrolle, fast die sprichwörtliche, wirkliche Freiheit, zeitweise fast Mini-Anarchie. Aber wir fanden’s toll. Die Villa war Treffpunkt für eine fest verschworene Clique, Neue von Außen wurden stets kritisch beäugt und entsprechend behandelt. Dass das nicht so weiter gehen konnte, wollten die Villaner natürlich nicht einsehen, zu schön war’s eben – und so chaotisch. Die Villa bedeutete Freiheit, Unabhängigkeit, weitgehende Selbstbestimmung in vielerlei Hinsicht. Lange Fernsehnächte, der zentrale Treffpunkt Küche als Ausgangspunkt aller möglichen Phantasien und Aktivitäten – oder auch nur für sinnlose und nicht enden wollende Diskussionen – und das legendäre “Matratzenzimmer“, das war unsere Welt. Vieles muss dabei in der Erinnerung derer verbleiben, die damals dabei waren. Zu persönlich und spektakulär sind die Geschichten zum Teil – eben ’for insiders only’. Die wilden Partys zeigten Spuren, nicht nur bei den jungen Leuten, auch am Haus und drum herum. So wurde ein bisschen die ’Notbremse’ gezogen, ein neues Konzept und eine neue Leitung mussten her.
Nun kam die AWO an den Start. Ab dem 1.10.1985 leiteten Ute Eisenacher und Edmund Taller das Haus und versuchten zunächst verzweifelt, Ordnung in das Gebäude und in die Köpfe der darin lebenden Chaoten zu bringen. Keine leichte Arbeit, sehr mühselig und zunächst undankbar. Es gab Spannungen und notwendige Findungsprozesse und so dauerte es seine Zeit, bis man sich gegenseitig ausgiebig beschnuppert und kennengelernt hatte. Doch dann zeigte sich die Wirkung. Die AWO war ein Stabilitätsgarant, es gab die notwendige Kontinuität durch die Zusammenarbeit bzw. das Zusammenwirken von Sozialarbeitern und Jugendlichen.
Die neue Mischung aus notwendiger Kontrolle und gewünschter Eigenverantwortung trug Früchte. Die Mitglieder des Jugendhausvereins wurden in Wochenendseminaren geschult und unterstützt. Aber das Haus war immer noch unser Haus, die Partys gingen weiter, die Welt nicht unter. Nur etwas zivilisierter gestaltete sich das Jugendhausleben. Die beiden Sozialarbeiter ließen den Jugendlichen ihre Freiheiten, steckten aber auch klar die Grenzen ab. Dass Grenzen ausgetestet wurden versteht sich von selbst. Manchmal hat’s geklappt, manchmal nicht. Beide Seiten nahmen es sportlich, da sie voneinander profitierten, angewiesen waren aufeinander und vereint im Ziel, dauerhaft den Erfolg zu erreichen, die Villa damit zu etablieren. Es galt die Villa etwas seriös zu machen bzw. dem Ganzen ein seriöses Gesicht zu geben – was aus Sicht der Jugendlichen schon reichte. Aber der Wandel war notwendig, sonst hätte es das Ende der Villa bedeutet. Damals war das einigen nicht so ganz klar, aber die Vernunft hat sich, wenn auch zögerlich, durchgesetzt.
Danke an die beiden, Danke auch an diejenigen, welche dieses Erbe bis heute fort- und hoffentlich weiterführen.
Das Jugendhaus entwickelte sich in Phase vier zu einer anerkannten Einrichtung der Gemeinde Malsch, zu einem immer beliebteren Treffpunkt für eine breitere Schicht von Jugendlichen. Später gab es weitere Angebote für Kinder, auch Ältere und gar Senioren fanden den Weg zur Villa.
Die Charakteristik des Hauses war u.a. durch sein vielfältiges Raumangebot sehr vorteilhaft, es wurde Musik gemacht – Villa-Rock und weitere Stilrichtungen, es gab Sportgruppen, Spielenachmittage, Hausaufgabenhilfe und Eltern-Kind-Spielkreise. Foto- und Computerkurse sowie weitere Projekte und Workshops fanden statt. Viele davon wurden von entsprechend versierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen gestaltet und durchgeführt. Da ’ging was’ in der Villa. Teilweise gingen neue Generationen von ‚Villanern‘ aus den vorherigen hervor, es gab aber auch Brüche.
Die Topevents waren aber sicher die jährlich stattfindenden Feste und Konzerte in der Villa oder die, an denen die AWO bzw. die Villa mitwirkte oder welche, die außerhalb des Jugendhauses von den Villanern aufgezogen wurden.
Da ist zum einen das Straßenfest zu nennen, auf dem die Villa immer mit einem eigens dafür hergestellten großen Zelt vertreten war. Was für eine Party, die “schwarze Null“ war und ist eigentlich eine Erfindung von uns gewesen.
Der absolute Hammer war aber das jährliche VILLA-Festival, das ab 1984 acht Mal ausgetragen wurde und auf dem viele namhafte ortsansässige, regionale und überregionale Bands teils mehrfach spielten. Das Event fand immer in der alten Mehrzweckhalle in Waldprechtsweier statt. Und es hat gerockt. Die Malscher “Otto-Band“, “Pat Fritz“, “Dorfcombo“, “Grach-Musikoff“, “Lava“, “La Grange“ mit ihrem Leadsänger Gunzi Heil und viele, viele andere, die Rang und Namen hatten, spielten für die Villa. Manchmal ging es auch politisch zu, etwa beim “Rock gegen Müllverbrennung“ im Jahr 1990. Klassik wurde in der Villa auch gespielt!
Es gab dabei nie einen Kommerzgedanken, zum Leidwesen einiger, aber das war ja auch nicht das eigentliche Ziel. Feiern bis der Arzt kommt, Spaß haben, gemeinsam einen schönen Tag zu verleben, das war’s. Und bei all den vielen Leuten blieb es doch ruhig, eine Security hatten wir nie nötig.
Dass im Juni 2017 die letzte große Party in der Villa stieg, macht etwas wehmütig, traurig und wütend.
Der Kreis schloss sich würdig an einem schönen Sommertag, als Top Act war wieder “La Grange“ in der Villa. Die Gruppe hatte sich nach zwei Jahrzehnten Pause extra wieder für diesen Gig mit Frontmann Gunzi zum Konzert formiert und die Erwartungen wurden voll übertroffen. Das Publikum aus neuen, alten und ganz alten Villanern, Freunden und Gönnern bekam tüchtig was auf die Ohren. Anschließend folgte die junge Musikergeneration, auch diese kam gut beim Publikum an.
Aber warum endete die Zeit in der ‚alten‘ Villa?
Die Jugendarbeit und die Jugendlichen haben sich geändert. Die Bedürfnisse wurden anders. Die Räumlichkeiten waren in ihrer Ausstattung nicht mehr zeitgerecht. Dazu ist das Haus leider an vielen Stellen erneuerungsbedürftig, es
mangelt u.a. am Brandschutz. So sind dadurch viele andere Baustellen mit der Zeit
entstanden. Hier ist es einfach von Seiten der Gemeinde versäumt worden, rechtzeitig, also schon vor mindestens 20 Jahren, wieder Geld in die Hand zu nehmen, zu investieren, um die Villa fit für die Zukunft zu machen. Als Ergebnis des langen Renovierungsstaus, selbst dringende Erhaltungs- und Sicherungsmaßnah-men unterblieben, wurde vor ein paar Jahren ‚beschlossen‘, das nun extrem sanierungsbedürftige Gebäude seinem Schicksal zu überlassen. Keine gute Idee! Einen Investor, der Großes mit der Villa und dem Gelände vor hat, soll es auch schon geben.
Aber es hilft jetzt nicht zu jammern, da das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist.
Wenigstens ist es, entgegen den Entwicklungen in anderen Gemeinden gelungen, einen Ersatzort zu finden – eine “Kombilösung“, zur Zeit auch vielerorts angesagt.
Die neue Villa – der Name bleibt für‘s Jugendhaus, nachdem der Gesamtkomplex inclusive der benachbarten Kita den höchst umstrittenen Namen „Villa Federbach“ in einer zeitweise possenhaften Diskussion erhalten hat – kommt ins Sandwich mit einem Seniorenzentrum. Eine interessante Gestaltung, eine Mischung, die bestimmt viele gute Möglichkeiten bietet, aber auch Konfliktpotential birgt.
Es ist nun wichtig, dass alle Parteien, Junge und Alte, konstruktiv und zielorientiert am künftigen Zusammenleben mitwirken und dies aktiv gestalten. Neue Ideen und auch fundierte Kritik sind willkommen und notwendig. Ja sogar alternativlos, sonst wird das nix.
Wohin der Weg führt, wird sich zeigen, es ist jedoch eine dauerhaft aktive und passive Unterstützung derer wichtig, welche jetzt die notwendige Aufgabe aufgedrückt bekommen, aber auch die Chance haben, die neue “VILLA“ aufzubauen und mit Leben, Ideen und Projekten zu füllen.
Vielen Dank dafür, verbunden mit dem Wunsch nach Erfolg, an Mimi, Jörg und Gundram sowie all die anderen fleißigen Helfer.
M. Kopp - Malsch, Mai 2019
Historische Ergänzungen auf der neuen Villa-Seite
https://www.villa-malsch.de/r%C3%BCckblick/
Die aktuelle Internetseite https://www.villa-malsch.de/
Fotografiert 2017
Spätere Aufnahmen
Chronologisch sortierte Zeitungsartikel aus dem Gemeindeanzeiger Malsch aus den Jahren 1988 bis 2006. Mit Klick vergrößern, dann nochmals ins Bild klicken zum lesen.
lxbfYeaa (Sonntag, 23 Juni 2024 12:30)
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lxbfYeaa (Sonntag, 23 Juni 2024 12:27)
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lxbfYeaa (Sonntag, 23 Juni 2024 12:24)
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lxbfYeaa (Dienstag, 16 August 2022 05:48)
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lxbfYeaa (Dienstag, 16 August 2022 05:47)
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lxbfYeaa (Dienstag, 16 August 2022 05:47)
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lxbfYeaa (Dienstag, 16 August 2022 05:46)
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lxbfYeaa (Dienstag, 16 August 2022 05:43)
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