Das Thema im Rahmen unserer Ausstellung über das Jüdische Leben in Malsch lautet: „Ein Stein für die Erinnerung“. Daran schließt sich gleich die Frage an: Erinnerung an was und an wen?
Der Jugendgemeinderat, die Katholische Jugend und Evangelische Jugend, der Bildhauer Walter Grimm Klaus Krone von den Heimatfreunden Malsch wollen versuchen eine Antwort darauf zu geben.
Ein dunkles Datum der Malscher Ortsgeschichte jährt sich am 22.10 2008 zum 68. Mal. Denn am 22.10.1940 wurden die letzten 19 noch in Malsch wohnenden Juden in das im unbesetzten Frankreich gelegene Internierungslager Gurs ausgewiesen. Für viele von ihnen war dies nur eine Zwischenstation in die Vernichtungslager des Ostens.
Auf Betreiben des badischen Gauleiters Robert Wagner und seines pfälzischen Kollegen Joseph Bürckel wurden an diesem Tage nicht nur die Malscher Juden, sondern über 6500 Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland nach Gurs deportiert. Mit dieser Aktion wollten die oben genannten Herren, ihren Gaue als erste im Reich für „judenfrei“ erklären. Diese Aktion bedeutete auch gleichzeitig das Ende der jüdischen Gemeinde nicht nur in Malsch sondern in allen Städten und Gemeinden Badens, der Pfalz und des Saarlandes.
Die Gemeinde teilte am 30.12.1940 in einem Schreiben dem Landrat in Karlsruhe das Ende der Aktion in Malsch mit. In diesem Schreiben ist neben den namentlich aufgeführten 19 Malscher Juden auch der Satz aufgeführt,:
„Die Gemeinde Malsch ist somit seit 22. Oktober judenfrei“.
wobei das Wort „judenfrei“ noch unterstrichen war.
Die betroffenen Malscher Juden hatten kaum Zeit die kleinen Habseligkeiten die sie mitnehmen durften, zu packen.
Über den Ablauf dieses Tages liegen den Heimatfreunden Berichte von Zeitzeugen vor. Frau Linda Töpfer wird Ihnen nun den Ablauf dieses Tages schildern, wie ihn Kurt Lang erlebt hat:
„Ich habe mit meinen Eltern und meiner Schwester im Nachbarhaus des Juden Julius Dreifuss in der damaligen Adolf- Hitler- Straße 123, jetzigen Hauptstraße 21 meine Jugend verbracht. Die beiden Gebäude hatten einen gemeinsamen Hof. Mit dem Julius Dreifuss verband uns ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Julius Dreifuss war mit Betty verheiratet. Ihr einziger Sohn Isi Dreifuss, geb. am 6.3.1905 wanderte am 26.10.1936 nach Amerika aus. Dort ist er früh verstorben. Nach der Zerstörung der Synagoge in Malsch am 10.11.1938 wurden die Wochenend- Gottesdienste bei unserem Nachbarn Julius abgehalten. Nachdem viele Malscher Juden im Jahre 1938 über 1 Monat inhaftiert wurden, bemühte sich auch unser Nachbar Julius mit seiner Frau Betty um eine Ausreise nach Amerika. Dies konnte er jedoch nur realisieren bei einem Verkauf seines Anwesens. Zuständig für die Ausreise nach Amerika war das Konsulat in Hamburg, wo die Eheleute Dreifuss untersucht wurden. Nach dieser Untersuchung erhielt Julius eine Zusage, während seine Frau Betty eine Absage für die Ausreise erhielt. Betty hatte zu dieser Zeit offene Füße, welche täglich behandelt werden mussten. Das Geld aus dem Verkauf seines Hauses wurde benötigt um die Überfahrt bezahlen zu können. Julius drängte meinen Vater sein Haus für 3.500.—RM zu kaufen. Für meinen Vater bedeutete dies zu jener Zeit ein kleines Vermögen. Am 27.9.1940 emigrierte dann Julius als letzter Jude aus Malsch. Seine Frau Betty konnte er nicht mitnehmen. Sie wohnte weiterhin wie bisher im Haus, welches jetzt allerdings meinem Vater Anton gehörte. Neben Betty waren noch weitere 18 Juden zu diesem Zeitpunkt in Malsch.
Am 22. Oktober 1940, in der Morgendämmerung holte man ohne Vorwarnung die noch 19 in Malsch verbliebenen jüdische Mitbürger ab und brachte sie zu einem vor dem damaligen Adolf- Hitler- Platz stehenden LKW. Die Juden wurden durch die jetzige Hauptstraße getrieben. Der LKW war versehen mit Sitzbänken, wo die Juden Platz nehmen mussten.
Auch meine jüdische Nachbarin Betty wurde abgeholt. Sie hatte meiner Mutter Anna gerufen und gesagt: „Anna, die holen uns, helft mir doch“! Die Uniformierten waren erbarmungslos. Sie ruften nur „raus, raus“ , haben die Türen abgeschlossen und verplombten diese. Mitnehmen durfte Betty nichts, gar nichts. Am Nachmittag zwischen 14,00 und 15,00 Uhr, das werde ich nie vergessen, kam eine Malscher Frau zu uns in den Hof und teilte meiner Mutter mit, dass diese Menschen immer noch am jetzigen Kirchplatz ohne Essen und Trinken ausharren müssen. Meine Mutter besorgte daraufhin in der Bäckerei Melcher eine Tasche voll Brötchen, bereitete zu Hause ein Kakaogetränk, holte einige Tassen und ging mit mir zum LKW auf den Kirchplatz. Ein Wachposten mit Gewehr wollte uns dann den Zutritt verwehren. Es gab ein Disput mit meiner Mutter die ihm sagte, dass diese Menschen heute in aller Frühe abgeholt wurden ohne die Möglichkeit zu haben, noch etwas zu essen und zu trinken. Deshalb bringe ich ihnen jetzt was vorbei. Der Wachhabende antwortete meiner Mutter, ob sie nicht wisse, dass dies verboten ist. Daraufhin sagte meine Mutter ihm, er solle sich mal dort am Pfarrhaus den Aushang anschauen damit ich etwas verteilen kann. Mit
großen Augen drehte sich tatsächlich der Wachhabende um und ging in Richtung Pfarrhaus. Als er zurückkam hatten die ersten schon die leeren Tassen wieder vom LKW herunter gegeben. Nachdem alles verteilt war haben wir uns unter Tränen von ihnen verabschiedet.
Erst gegen Abend ist der LKW dann mit den letzten 19 Malscher Juden in Richtung Gurs/ Südfrankreich abgefahren.
Meine Nachbarin Betty hat das Lager Gurs überlebt und ist nach der Befreiung zu ihrem in Amerika lebenden Mann Julius gefahren.
Nachfolgend die Erklärung der Jugend zur Entstehung des Steins:
Zunächst möchte wir, Jugendgemeinderat, katholische und evangelische Jugend Malsch, Ihnen das Jugendprojekt Mahnmal vorstellen:
Ausgangspunkt des Jugendprojekts Mahnmal ist die Deportation der badischen Jüdinnen und Juden am 22. Oktober 1940, dem schwarzen Tag in der badischen Geschichte.
Von der Deportation waren über 5.600 Personen in insgesamt 137 Gemeinden betroffen.
Seit 2002 wird das Projekt „Mahnmal für die deportierten Jüdinnen und Juden Badens“ von der Abteilung Jugendpastoral der Erzdiözese Freiburg und dem Evangelischen Amt für Kinder- und Jugendarbeit der Landeskirche Baden durchgeführt. Die Idee des Projektes ist, dass in jedem der Deportationsorte Jugendgruppen oder Schulklassen auf Spurensuche gehen und sich somit mit der Deportationsgeschichte auseinandersetzen. Jede Projektgruppe soll hierbei zwei „Memorialsteine“ gestalten. Einer bleibt zur Mahnung an die Deportation der jüdischen Bürger im Heimatort der Gruppe, der andere wird Teil des zentralen Mahnmals in Neckarzimmern.
Das Mahnmal besteht aus einem 25 mal 25 Meter großen Stern, der auf einer Wiese bei der evangelischen Tagungsstätte Neckarzimmern als Betonband in den Boden eingelassen wurde. Darauf werden die Memorialsteine der Projektgruppen verankert.
Die evangelische und katholische Kirche Bad Rappenau planten im Zuge der Landesgartenschau 2008 ein einwöchiges Bildhauer-Symposium, bei dem die Jugendgruppen die Möglichkeit gehabt hätten, unter fachlicher Anleitung ihre zwei Steine zu gestalten.
Da die Gemeinde Malsch ebenfalls eine der 137 Gemeinden, mit einer großen jüdischen Vergangenheit ist, ging dann am 16. Mai 2007 bei Herrn Bürgermeister Himmel eine Einladung der Kirchengemeinde Bad Rappenau zu einer Informationsveranstaltung über das geplante Projekt ein.
Herr Himmel gab diese Einladung gleich an Herrn Bechler von den Heimatfreunden und Herrn Krone weiter, mit der Anregung unter Anleitung des Jugendgemeinderates eine Jugendgruppe zu bilden, und an diesem Projekt teilzunehmen.
Wir vom Jugendgemeinderat waren uns schnell einig, dass wir dieses Projekt unterstützen möchten, und so machte ich mich als Vorsitzender des JGR zusammen mit Herrn Walter von den Heimatfreunden und Herrn Krone als Vertreter der Gemeinde am 12. Juni 2007 auf den Weg nach Bad Rappenau um diese Informationsveranstaltung zu besuchen.
Wir schlossen uns dann zu einer Gruppe, bestehend aus Mitgliedern des Jugendgemeinderates, der Katholischen Jugend und der evangelischen Jugend zusammen und begannen mit den ersten Vorbereitungen.
Leider konnte das einwöchige Symposium mangels Teilnehmer nicht stattfinden und so beschlossen wir, den Stein unter fachlicher Anleitung des aus Malsch stammenden Steinmetz Walter Grimm eigenständig zu gestalten.
Am 23. Januar 2008 trafen wir uns dann das erste Mal im Jugendhaus Villa und sammelten dort die ersten Skizzen und Ideen zur Gestaltung des Steines. Herr Grimm und sein Sohn Lucas standen uns hier schon tatkräftig zur Seite.
Bereits am 16. Februar stand das nächste Treffen an, bei dem wir uns im Bauhof der Gemeinde versammelten. Herr Grimm stellte uns dort unser späteres Kunstobjekt vor und er zeigte uns die Werkzeuge mit denen wir dann auch gleich die ersten Versuche am Stein durchführten.
Der Stein wurde dann zunächst zugesägt und dann im Atelier bei Herrn Grimm in Geroldsau Baden-Baden untergestellt, wo auch die weiteren Arbeiten am Stein stattfanden.
Da am 19. und 20. April 2008 die Leistungsschau in Malsch stattfand, schlug Herr Grimm vor, die geplante Steinspaltung dort durchzuführen um somit das öffentliche Interesse für unsere Arbeit zu wecken.
Am 16. April trafen wir uns dann erneut im Jugendhaus Villa, um die weitere Vorgehensweise zu besprechen.
An der Leistungsschau bearbeiteten wir wie geplant den Stein weiter und führten dort auch sonntags die Steinspaltung durch . Hierbei durften sich viele interessierte Bürger beteiligen indem sie sich selbst an Hammer und Meisel versuchten.
Außerdem wurden an der Leistungsschau auch zahlreiche Skizzen gefertigt damit festgelegt werden konnte, wie der Stein letztendlich gestaltet werden soll. Nach der Spaltung begann die Steingestaltung.
Nun werden noch die Bedeutung der einzelnen Symbole erklärt:
Der wellenförmige Umriss des Steins soll an eine ausgerollte jüdische Gebetsrolle erinnern.
Die Vorderseite ist mit einem Blattrelief gestaltet. Dieses Blattrelief, mit dem daran wachsenden Keimling, soll zum einen den Malscher Wald wiederspiegeln und zugleich soll der Keimling für eine neu wachsende deutsch-jüdische Freundschaft stehen.
Wie vorhin schon durch den Zeitzeugenbericht von Kurt Lang berichtet, gab eine Frau vor dem Abtransport den auf der Ladefläche des LKW sitzenden Juden Brot und Kakao, obwohl dies verboten war. Den Mut dieser Frau haben wir auf dem Stein durch einen Laib Brot und die Tasse festgehalten. Die letzten Malscher Juden wurden mit einem LKW fortgebracht. Dies haben wir durch den davonfahrenden LKW dargestellt.
Der Stein wurde durch 19 Bohrungen gebrochen. Die entstandenen Bohrlöcher sollen an die letzten 19 jüdischen Mitbürger erinnern, die am 22.Oktober 1940 nach Gurs deportiert wurden.
Inzwischen wurde ein Stein bereits nach Neckarzimmern gebracht, wo am 02. November die offizielle Steinaufstellung stattfindet.
Der Stein für Malsch wird am 16. November 2008 im Rahmen des Volkstrauertages am Kirchplatz aufgestellt. Zu dieser Feierstunden sind sie schon heute recht herzlich eingeladen.
Vom Volkstrauertag gehe, so sagte Bürgermeister Elmar Himmel am vergangenen Sonntag anlässlich der offiziellen Enthüllung des Gedenksteines für die 19 am 22. Oktober 1940 ins französische KZ Gurs deportierten Malscher Juden, auch eine friedensstiftende Funktion aus. Bei der Feierstunde auf dem Platz vor der Kirche St. Cyriak, an der zahlreiche Bürger und Vertreter des öffentlichen Lebens teilnahmen, schlug er den Bogen vom latenten Antisemitismus in der Gründung des Deutschen Reiches (die durch die in der Nähe stehende Germania-Statue symbolisiert wird) über das Dritte Reich bis in die Gegenwart. Er gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass der Gedenkstein, dessen Pendant inzwischen auf dem Gelände der jüdischen Gedenkstätte Neckarzimmern steht, nahe der ehemaligen jüdischen Schule von Malsch einen würdigen Platz für Trauer und Erinnerung gefunden habe. Er dankte dem Jugendgemeinderat, der Katholischen Jugend und den evangelischen Konfirmanden, die das Jugendprojekt „Ein Stein für die Erinnerung“ mehr als ein Jahr lang mit Kreativität und Engagement realisiert haben.
Jugendgemeinderat Patrick Mahovsky dankte seinerseits noch einmal für das Vertrauen, dass die Gemeinde den Jugendlichen bei Umsetzung der Mahnmal-Idee geschenkt hatte. Unter der fachkundigen Anleitung des Baden-Badener Steinmetzes Walter Grimm und seines Sohnes habe man mit viel Freude und zahlreichen Einblicken in ein bislang unbekanntes Handwerk einen würdigen Gedenkstein schaffen können. Mahovsky dankte auch Josef Bechler, dem Vorsitzenden der Heimatfreunde Malsch, für seine fachkundige Unterstützung in historischen Fragen und erläuterte den Anwesenden die Symbolik des Gedenksteines. Man habe die beiden Teile des Steines, dessen Kontur an eine ausgebreitete Thorarolle erinnere, durch 19 Bohrlöcher gesprengt. Sie symbolisierten die 19 deportierten jüdischen Mitbürger. In den Stein gehauen wurde ein Keimling, den die Jugendlichen als Zeichen der Hoffnung für eine neu entstehende deutsch-jüdische Freundschaft verstanden wissen wollen. Außerdem finden sich eine Frauengestalt, ein Trinkgefäß und ein Laib Brot sowie ein LKW auf dem Stein. Hierdurch wird an jene mutige Malscherin erinnert, die den einen ganzen Tag lang auf einem LKW, der auf dem Kirchplatz abgestellt war, auf ihren Abtransport wartenden jüdischen Mitbürgern eine kleine Mahlzeit zukommen ließ und dabei selbst ihre Verhaftung riskierte. Zahlen zur Entwicklung der jüdischen Bevölkerung in Malsch rundeten die Symbolik des Steines ab. Der Jugendgemeinderat konnte sich Anfang November bei einem Besuch in Neckarzimmern bereits davon überzeugen, dass die zweite Hälfte des Gedenksteines dort im Ensemble mit anderen ebenfalls einen würdigen Platz gefunden hat.
Pfarrer Thomas Dempfle, der ebenso wie sein evangelischer Amtsbruder Claudius Zeller an der Feierstunde teilnahm, zitierte aus Psalm 74 (Klage über die Verwüstung des Heiligtums) und merkte an, dass Unrecht in jedem Fall Unrecht bleibe. Er mahnte zu Liebe und Toleranz und wünschte den Menschen, die den Gedenkstein aufsuchten, dass sie die Kraft zum Erinnern aufbringen. Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung vom Hassler-Chor unter der Leitung von Angelika Kölble-Weber.
Bei der anschließenden Kranzniederlegung auf dem Malscher Friedhof wies Bürgermeister Himmel auf die Notwendigkeit hin, in die Gedanken zum Volkstrauertag neben den Gefallenen der Weltkriege auch die Opfer von Terror, Hunger und Verfolgung einzubeziehen. Erinnerung sehe er auch als eine moralische Verpflichtung, der sich, wie sich am Beispiel des Malscher Mahnmal-Projektes gezeigt habe, zunehmend auch jüngere Menschen stellen. Das Handharmonika-Orchester Malsch und der Hassler-Chor gaben dem Totengedenken einen würdigen musikalischen Rahmen.
ts Quelle: Gemeindeanzeiger Nr. 47/2008 vom 20.11.2008, S. 3