'Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist', zitiert Gunter Demnig den Talmud. Mit den Steinen vor den Häusern wird die Erinnerung an die Menschen lebendig, die einst hier wohnten. Auf den Steinen steht geschrieben: HIER WOHNTE... Ein Stein. Ein Name. Ein Mensch.
Im Projekt „Stolpersteine - ein Kunstprojekt für Europa“ des Kölner Künstlers Gunter Demnig hat
auch die Gemeinde Malsch einen Platz gefunden. Insgesamt wurden 30 Stolpersteine – kleine
Mahnmale auf dem Weg – verlegt.
Erste Verlegeaktion am 11. Oktober 2010
In einer ersten Aktion, die von einer Reihe interessierter Bürgern und Pressevertreter begleitet wurde, setzte der Künstler Gunter Demnig vor sechs Häusern im Kernort insgesamt fünfzehn Stolpersteine. Sie erinnern an die jüdischen Mitbürger, die in den Häusern wohnten und zwischen 1940 und 1942 Opfer der Judenvernichtung wurden.
Routiniert und mit Unterstützung von zwei Mitarbeitern des Malscher Bauhofes ging Gunter Demnig zu Werke, als er in der Hauptstraße, der Waldprechtstraße und der Kreuzstraße unter den Augen der Teilnehmer an der Verlegeaktion die ersten fünfzehn Malscher Stolpersteine niveaugleich in das Pflaster der Gehwege einpasste. Die Steine haben eine Kantenlänge von zehn Zentimetern. Auf ihrer Messing- Oberfläche tragen sie die Lebensdaten der früheren Hausbewohner. Sie erinnern die Vorübergehenden an die Schicksale der Malscher jüdischen Familien Kaufherr, Maier, Gabel, Löb, Lehmann und Herz. Mehr als 26.000 dieser Steine hat Gunter Demnig nach eigenen Angaben in Deutschland und neun weiteren europäischen Ländern bereits verlegt. Malsch sei seine 597. Verlegestation, erklärte der Künstler, der am Vormittag noch in Ettlingen zugange war.
Bürgermeister Elmar Himmel bezeichnete die Steine als kleine Mahnmale. Ihre Aufgabe sei es, daran zu erinnern, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die größte jüdische Landgemeinde in Baden ausgelöscht war.
Außerdem mahnen sie, dass Vergleichbares nicht mehr geschehen dürfe. Die Stolpersteine fügten sich ein in ein ganzes Bündel von Maßnahmen zur Schaffung von historischem Bewusstsein In Malsch. Das Ortsoberhaupt erwähnte in diesem Zusammenhang die, von den Heimatfreunden verantwortete Ausstellung und das Buch zum jüdischen Leben in Malsch, das Mahnmal auf dem Kirchplatz und in Neckarzimmern, die Gedenktafel am Trafohäuschen in der Adlerstraße und die beiden Bücher des kürzlich verstorbenen Louis Maier.
An den einzelnen Verlegestationen gaben die beiden Pfarrer Thomas Dempfle und Claudius Zeller, der Vorsitzende der Heimatfreunde Malsch, Josef Bechler, Trudbert Wipfler, Rektor der Hans-Thoma-Schule und Sally Laws-Werthwein, Übersetzerin der Bücher von Louis Maier, einen kurzen Überblick über die Lebensumstände der ehemaligen jüdischen Hausbewohner und ihrer tragischen Schicksale.
Bedrückend für die Zuhörer war auch, wie Pfarrer Thomas Dempfle die menschenunwürdigen Zustände im französischen Lager Gurs, in das die badischen Juden deportiert wurden, schilderte. Pfarrer Zeller ging auf die Ausweisung der Juden polnischer Abstammung ein. Josef Bechler berichtete über die Gründlichkeit der deutschen Behörden bei der Inventarisierung ehemaligen jüdischen Besitztums. Sally Laws-Werthwein vermittelte einen Eindruck vom Schicksal der Malscher Juden an Bord des Passagierschiffes St. Louis auf seiner Irrfahrt zwischen Europa und Amerika.
Aufgezeichnet wurde die Stolpersteinaktion in Ton und Bild von der Medien-AG der Hans-Thoma-Schule. Rektor Trudbert Wipfler zeigte sich sehr erfreut darüber und sagte, auf diese Weise sei es möglich, die Geschehnisse jener Zeit zeitgemäß aufzubereiten und auch Kindern und Jugendlichen im Unterricht nahe zubringen.
Beeindruckt vom Umgang Malschs mit seiner jüdischen Geschichte zeigte sich auch David Kaufher. Der in der Schweiz lebende junge Amerikaner, Urenkel des in Auschwitz ermordeten Malscher Juden Josef Kaufherr, war auf Grund einer Einladung der Heimatfreunde eigens zur Stolpersteinaktion nach Malsch gekommen. „Ich habe hier die Möglichkeit, ein Stück Familiengeschichte zurück zu gewinnen und damit besonders meinen Urgroßeltern näher zu kommen“, sagte er
Sehr angetan vom Erfolg der Aktion zeigte sich auch Josef Bechler, Mitorganisator der Stolpersteinaktion: „Erfreulich war die Resonanz in der Öffentlichkeit und das hohe Maß an Engagement durch Gemeinderat und Bürgermeister!“ Die Verlegung weiterer fünfzehn Stolpersteine, zehn davon für deportierte Malscher Juden und fünf für Euthanasieopfer, werde nach Absprache mit Gunter Demnig voraussichtlich im kommenden Jahr erfolgen, wenn die Baustellensituation im Kernort dies zulasse. Erfreulich war aus der Sicht von Josef Bechler auch die Tatsache, dass sich für jeden der 30 Stolpersteine ohne allzu große Öffentlichkeitsarbeit ein Pate aus der Bevölkerung fand, der die Kosten von 95 Euro für die Herstellung und Verlegung „seines“ Steines übernahm.
Hauptstraße 26 Josef Kaufherr
war einer der wenigen Juden, die nicht aus Malsch stammten. Josef Kaufherr wurde am 16.10.1889 in Kaltennordheim geboren. Er heiratete die Witwe Selma David, die in der Hauptstraße ein Schuhgeschäft hatte. Aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor: Martin, Siegfried und Marianne. Siegfried verstarb im Kindesalter 1924. Wenige Tage später am 19.10.1924 starb seine Mutter Selma. Am 23.03.1925 heiratete Josef Kaufherr die in Berwangen bei Heidelberg am 3.11.1897 geborene Betty Weil. Aus dieser Ehe ging die Tochter Hannelore, die am 4.01.1926 in Malsch geboren wurde, hervor.
Bereits im Jahre 1934 wurde Tochter Marianne aus der ersten Ehe von Josef Kaufherr in die USA geschickt. Martin Kaufherr wanderte nach Abschluss seiner Lehre 1938 ebenfalls in die USA aus.
Die zurückgebliebenen Eltern Josef und Betty sowie ihre jüngste Tochter Hannelore erlebten als unmittelbare Nachbarn, wie die Synagoge zerstört wurde. Auch Plünderungen des Mobs blieben ihnen nicht erspart.
Am 10. November 1938 wurde Josef Kaufherr wie weitere neun Malscher männliche Juden in Dachau in Schutzhaft genommen. Am 3.12.1938 durfte er von dort zurückkehren, nachdem er zugesagt hatte, sein Geschäft in arische Hände zu übergeben und auszuwandern.
Josef, Betty und Tochter Hannelore versuchten, wie 17 weitere Malscher Juden, am 13.05.1939 mit der „St. Louis“ Deutschland in Richtung Kuba zu verlassen. In Kuba durften die Juden jedoch nicht an Land gehen, obwohl alle Passagiere eine amtliche Zusage hatten. Nach wochenlangen Irrfahrt der „St. Louis“ und langen Verhandlungen konnte erreicht werden, dass am 17.06.1939 alle Passagiere in Antwerpen an Land durften.
Die Familie Kaufherr blieb zunächst in Belgien. Sie wohnte in Brüssel, wie die meisten Malscher Juden, die in Belgien blieben. Nachdem zwischenzeitlich der 2. Weltkrieg ausbrach und Belgien durch die deutschen Truppen besetzt wurde, erlebte die Familie Kaufherr ein grausames Schicksal. Betty Kaufherr und Tochter Hannelore kamen vom belgischen Lager Mechelen nach Auschwitz, wo sie umgebracht wurden. Josef Kaufherr war in den Lagern St. Cyprien und Gurs, bevor auch er über Drancy nach Auschwitz kam und dort ebenfalls umgebracht wurde.
"Wir werden immer an dich denken" , "Du bist unvergessen" , "Ruhe in Frieden"
Mit diesen und weiteren rührenden und liebevollen Worten haben die Schüler und Schülerinnen der Klasse 9a der HTS im Juli 2019 die Gedenkzettel für die Verstorbenen der Malscher Stolpersteine gestaltet. Jeder einzelne Gedenkzettel wurde mit viel Liebe geschrieben.
Wir möchten uns daher ganz herzlich für diese wundervolle Anteilnahme bedanken.
Wir hoffen, dass heute wieder viele Menschen "stolpern" und auch so wie wir heute morgen stehen bleiben und sich Mal eine Minute Zeit nehmen und der verstorbenen Menschen gedenken.
Foto: Rainer Walter
Waldprechtsstraße 1
Die Eheleute Max Maier, geb. 01. Dezember 1872 in Malsch und Ella Maier, geb. Israel, 30. Dezember 1879 in Strümpfelbronn waren kinderlos. Ihnen gehörte das alte Malscher Rathaus in der Hauptstraße 116, in dem sie einen Kohlenhandel sowie einen Handel mit gebrauchten Fässern betrieben.
Wie die meisten Malscher Juden, mussten auch die Eheleute Maier ihr Wohngebäude in den Jahren 1939/1940 verkaufen.
Max und Ella Maier gehörte zu den letzten 19 Malscher Juden, die am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert wurden. Beide Eheleute wurden in Auschwitz umgebracht. Ihr Todesdatum ist nicht bekannt
Waldprechtsstraße 5 Leo und Charlotte Gabel
auf Wunsch der Familie Gabel wurden die Steine für das Ehepaar Leo und CharlotteGabel entfernt. Sie befinden sich nun im Archiv der Malscher Heimatfreunde e.V.
Leo Gabel wurde am 8. Oktober 1901 in Frankfurt am Main geboren. Er war verheiratet mit Lotte Gabel geb. Weisberg, geb. am 17. Januar 1907. Am 10. Februar 1935 wurde ihr Sohn Josua in Karlsruhe geboren. Josua war der jüngste Malscher Jude vor Auflösung der israelitischen Gemeinde Malsch. Leo Gabel war seit 1932 als Kantor und Religionslehrer in Malsch tätig gewesen.
Ende Oktober 1938 wurden in einer kurzfristigen Aktion über 15.000 in Deutschland lebende Juden mit polnischem Pass ausgebürgert. Unter ihnen war auch Leo Gabel. Am 7. Juli 1939 wurde auch seine Frau Charlotte nach Polen ausgewiesen. Kurz vor der Ausweisung war es noch gelungen, den vierjährigen Sohn Josua zu Verwandten nach Holland zu schicken, wo er versteckt bei christlichen Familien den Krieg überlebte und später nach Palästina auswanderte. Es wurde bekannt, dass Ende Dezember 1939 das Ehepaar Gabel von den deutschen Besatzungsbehörden von Posen ins Judenghetto nach Warschau verbracht wurde. Seit 1942 fehlte jedes Lebenszeichen von ihnen. Leo und Charlotte Gabel sind mit großer Sicherheit im Warschauer Ghetto umgekommen.
Nanette Maier, geb. 29. November 1871, war ledig und wohnte bei ihrem Bruder in der Hauptstraße 129. Nach dem Tode ihres Bruders am 22. Oktober 1939 – seine Ehefrau Karolina Maier geb. Thalheimer, 9. September 1873, verstarb bereits am 18. Dezember 1925 in Malsch – wurde Nanette Maier Alleinerbin des Hausgrundstücks.
Nanette Maier gehörte zu den letzten 19 Malscher Juden, die am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert wurden.
Nanette Maier verstarb am 16.11.1940 einige Wochen nach ihrer Ankunft im Lager Gurs.
"Wir werden immer an dich denken" , "Du bist unvergessen" , "Ruhe in Frieden"
Mit diesen und weiteren rührenden und liebevollen Worten haben die Schüler und Schülerinnen der Klasse 9a der HTS im Juli 2019 die Gedenkzettel für die Verstorbenen der Malscher Stolpersteine gestaltet. Jeder einzelne Gedenkzettel wurde mit viel Liebe geschrieben.
Wir möchten uns daher ganz herzlich für diese wundervolle Anteilnahme bedanken.
Wir hoffen, dass heute wieder viele Menschen "stolpern" und auch so wie wir heute morgen stehen bleiben und sich Mal eine Minute Zeit nehmen und der verstorbenen Menschen gedenken.
18.07.2019 Blumen zum Gedenken - Nanette Maier - Hauptstraße 27. Fotograf Rainer Walter
Samuel Maier, am 13.03.1864 in Malsch geboren, war von Beruf Viehhändler. Er wohnte zusammen mit seiner ledigen Tochter Frieda, geb. am 2. April 1894 in seinem Wohnhaus in der Hauptstraße 133. Samuel Maier war nicht unvermögend. Sein Lebensunterhalt bestritten Samuel und Frieda Maier aus eigenem Vermögen.
Samuel und Frieda Maier gehörten zu den letzten 19 Malscher Juden, die am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert wurden. Zu diesem Zeitpunkt wohnten Samuel Maier und seine Tochter Frieda im Hause des Ludwig Dreifuss in der Adlerstrasse 52. Samuel Maier starb im Lager Gurs am 15. Januar 1942, während seine Tochter Frieda am 12. August 1942 in Auschwitz ermordet wurde.
"Wir werden immer an dich denken", "Du bist unvergessen", "Ruhe in Frieden"
Mit diesen und weiteren rührenden und liebevollen Worten haben die Schüler und Schülerinnen der Klasse 9a der HTS im Juli 2019 die Gedenkzettel für die Verstorbenen der Malscher Stolpersteine gestaltet. Jeder einzelne Gedenkzettel wurde mit viel Liebe geschrieben.
Wir möchten uns daher ganz herzlich für diese wundervolle Anteilnahme bedanken.
Wir hoffen, dass heute wieder viele Menschen "stolpern" und auch so wie wir heute morgen stehen bleiben und sich Mal eine Minute Zeit nehmen und der verstorbenen Menschen gedenken.
18.07.2019 Blumen zum Gedenken - Samuel und Frieda Maier - Hauptstraße 29. Fotograf Rainer Walter.
Kreuzstraße 10 Isidor und Karoline Löb
Isidor Löb, geb. am 10. Januar 1866, betrieb mit seiner Ehefrau Karolina, geb. Maier, 22. April 1872, einen Landwirtschaftsbetrieb und zusätzlich mit seinem Sohn Leopold ein gut gehendes Viehhandelsgeschäft. Im Jahre 1905 baute Isidor Löb ein dreistöckiges Wohnhaus in der Kreuzstraße 10, nachdem er das geerbte Gasthaus „Schwanen“ veräußert hatte.
Isidor Löb, seine Ehefrau Karoline und die sich noch in Malsch befindlichen Familienmitglieder versuchten am 13. Mai 1939 mit dem Hapag-Dampfer „St. Louis“ Deutschland zu verlassen. Teile der Familie waren bereits einige Monate vorher nach Kuba emigriert.
Nach der Irrfahrt der „St. Louis“ gingen auch sämtliche Familienmitglieder von Isidor und Karolina Löb am 17. Juni 1939 in Antwerpen von Bord. Sie blieben in Belgien und wohnten in Brüssel. Ihre Kinder und Enkelkinder konnten noch kurz vor der Besetzung von Belgien durch die deutschen Truppen das Land verlassen. Isidor und Karoline Löb wurden in das Sammellager Malines eingeliefert. Von dort kamen beide am 26.09.1942 nach Auschwitz wo sie ermordet wurden.
Im Wohnhaus von Isidor und Karolina Löb, in der Kreuzstraße 10, wohnten auch Salomon Lehmann, geb. 02. Januar 1868, seine Frau Mina geb. Leon, 10.09.1871 sowie die Stiefschwester von Salomon Lehmann, die ledige Amalie Herz, 5.01.1859.
Salomon und Mina Lehmann waren die Eltern der Schwiegertochter Maria, von Isidor und Karoline Löb. Salomon Lehmann und seine Frau betrieben in Kuppenheim eine Metzgerei.
Dieses Geschäft musste Salomon Lehmann verkaufen. Am 5. März 1938 übersiedelten Salomon und Mina Lehmann sowie Amalie Herz nach Malsch in das Wohnhaus des Isidor Löb um gemeinsam mit ihnen auf der „St. Louis“ Deutschland verlassen zu können. Wie Isidor und Karolina Löb blieben auch Salomon und Mina Lehmann, sowie Amalie Herz in Belgien. Mina Lehmann verstarb am 26. August 1941 in Brüssel, während Ihr Ehemann Salomon im Lager Mechelen interniert wurde. Von Mechelen wurde er nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht.Wie Mina Lehmann verstarb in Brüssel 1941 auch Amalie Herz.
Zweite und abschließende Verlegeaktion am
13. September 2012
Dreißig der mehr als 36.000 Stolpersteine in Europa liegen jetzt in Malsch
Wenn sich an einem strahlenden Spätsommertag morgens um 9 Uhr rund 50 Malscher unweit der Bäckerei Nussbaumer vor dem Haus Neuwiesenstraße 6 versammeln, dann hat das einen besonderen Anlass. Gemeinde und Heimatfreunde hatten interessierte Mitbürger eingeladen, dabei zu sein beim zweiten Teil der im Jahr 2010 begonnenen Stolperstein-Verlegung in Malsch.
Andächtige Stille, die nur durch den vorbeiflutenden morgendlichen Verkehr gestört wurde, herrschte, als die Zuhörer von Sigmund Maier, Jahrgang 1888, und seiner Frau Clara, geboren 1890, beide Malscher jüdischen Glaubens, erfuhren. Beiden hatten hier einst gewohnt und gehörten zu den letzten Malscher Juden, die am 22. Oktober 1940 in das französische KZ Gurs deportiert wurden. Von dort führte ihr Weg weiter ins KZ Auschwitz, wo sie im August 1942 umgebracht wurden. Nun erinnern zwei Stolpersteine vor dem Haus an die ehemaligen Bewohner. Für die zweite Verlegeaktion, die jetzt, nach dem Abschluss der umfangreichen Bauarbeiten zur Bachöffnung, durchgeführt werden konnte, zeichnete sich wie schon Oktober 2010 der Kölner Künstler Gunter Demnig verantwortlich, der das Projekt 1993 begründet hatte. Rund 50 Zuschauer, unter ihnen auch Bürgermeister Elmar Himmel, begleiteten den Künstler und zwei ihn unterstützende Mitarbeiter des Bauhofes auf ihrem Weg zu den zwölf Verlegeplätzen zwischen Sézanner Straße 54 und dem Haus Lindenstraße 1.
Organisiert wurde die Verlegung der Stolpersteine von einer Koordinierungsgruppe, der neben Vertretern der Heimatfreunde Malsch und der Gemeinde auch die beiden Pfarrer Thomas Dempfle und Claudius Zeller sowie die Schulrektoren Birgit Maetschke und Trudbert Wipfler angehörten. Einvernehmen bestand bei der Gruppe, diesmal nicht ausschließlich an die ermordeten jüdischen Mitbürger zu erinnern, sondern mit fünf Steinen auch an die sogenannten Euthanasie-Opfer zu erinnern, die 1940 in der „Landespflegeanstalt“ Grafeneck ermordet wurden – für Josef Bechler, Mitglied der Koordinierungsgruppe und früher Vorstand der Heimatfreunde „die Erprobung der späteren Vernichtungstechnik in den Konzentrationslagern“.
Bürgermeister Elmar Himmel sagte, die Stolpersteine fügten sich nahtlos in eine ganze Reihe von Maßnahmen ein, mit denen man sich in Malsch seiner jüdischen Geschichte erinnere. Dazu gehörten der geteilte Gedenkstein am Kirchplatz und in der Gedenkstätte Neckarzimmern, die von den Heimatfreunden organisierte Ausstellung „Jüdisches Leben in Malsch“, der dazu erschienene dritte Band des „Malscher Historischen Boten“, aber auch die Gedenktafeln für die ehemalige Synagoge und das jüdische Bad. Er dankte vor allem den fünfzehn Jugendlichen aus den Reihen der evangelischen und katholischen Jugend sowie des Jugendgemeinderates. Sie hatten die Aufgabe übernommen, an den einzelnen Verlegestationen in kurzen Texten die Schicksale der Opfer zu skizzieren und die historischen Hintergründe erläutert.
Einen bewegenden Moment erlebten die Teilnehmer an der Verlegeaktion vor dem Haus Adlerstraße 72. Ein Schüler war gerade dabei, aus einem Zeitzeugenbericht über das Geschehen am 22. Oktober 1940 zu zitieren. Danach waren die Hausbewohner Löb Maier und seine Ehefrau Berta, beide jüdischen Glaubens, vom Malscher Ortspolizisten zum raschen Verlassen des Hauses aufgefordert worden. Während des Vortrags trat Eugen Heinzler, Anwohner und Autor des Berichts, hinzu. Er bestätigte seinen Bericht, der mit den Worten endet: „Seit diesem Zeitpunkt habe ich beide nicht mehr gesehen“. Durch das Interesse besonders der jungen Leute animiert, erzählte er noch ein wenig vom alltäglichen Zusammenleben mit den jüdischen Nachbarn.
Filmisch dokumentiert wurde die Stolperstein-Aktion von den beiden Schülerinnen Vanessa Bauer und Jenny-Marie Acosta. Als Mitglieder der Medien-AG der Hans-Thoma-Schule bringen sie das nötige Know-how mit und haben bereits an der ersten Verlegeaktion im Oktober 2010 mitgewirkt.
Nachdem nun alle 30 Stolpersteine in Malsch verlegt sind – 25 davon für jüdische und fünf für die sogenannten Euthanasie-Opfer, wurde die Koordinierungsgruppe Stolpersteine aufgelöst. Josef Bechler dankte allen Beteiligten für ihre engagierte Mitarbeit.
Nachfolgend die Kurzbiographien der Personen, für die ein Stolperstein am 12.9.2012 durch den Kölner Künstler Günter Demnig verlegt wuden.
Neuwiesenstraße 6
Sigmund Maier, Jahrgang 1888, war verheiratet mit Clara Maier, geb. Weil, Jahrgang 1890. Aus dieser Ehe gingen die beiden Kinder Ludwig, geb. 16. Juni 1924, und Agathe, geb. 13. April 1928, hervor.
Sigmund Maier betrieb neben dem Samenhandel noch ein Hausierhandel mit Textilwaren. Er war einer der zehn Malscher Juden, die während der Pogromnacht festgenommen und im Konzentrationslager Dachau inhaftiert wurde. Aus dieser Haft kehrte Sigmund Maier am 14. Dezember 1938 als gebrochener Mann nach Malsch zurück. Seine Kinder Ludwig und Agathe waren neben Julius Dreifuß die letzten Malscher Juden, die es 1940 noch schafften, über Umwege nach Amerika zu gelangen.
Sigmund Maier und seine Frau Clara Maier gehörten zu den letzten 19 Malscher Juden, die am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert wurden. Alle 19 Personen wurden an diesem Tage zum Sammelplatz beim Rathaus gebracht und von dort mit einem LKW abtransportiert. Von dieser geheimen Aktion waren sie völlig überrascht worden. Ihnen blieben nur zwei Stunden Zeit, ihre Sachen zu packen. Es durfte als Gepäck nur 50 kg und 100 Reichsmark pro Person mitgenommen werden. Auch wurde Ihnen der Zielort der Deportation nicht mitgeteilt. Nach dieser Aktion meldete der Bürgermeister dem Landrat und der Gestapo in Karlsruhe:“ Die Gemeinde Malsch ist somit seit 22. Oktober 1940 judenfrei.“
Sigmund und Clara Maier mussten nicht nur das Lager Gurs in den Pyrenäen erleiden, sondern auch den Transport nach Auschwitz, wo man beide im August 1942 umbrachte. Ihre Kinder, Dr. Louis Maier und Agathe Glaser haben jeweils ihr Familienschicksal in Büchern festgehalten.
Sézanner Straße 54
Anna Stern, geb. Neustädter, wurde 1875 in Wolfskehlen geboren. Sie war verheiratet mit dem Viehhändler Albert Stern, der 1879 in Malsch geboren wurde. Beide wohnten in ihrem 1929 hier erstellten Wohnhaus in der heutigen Sézanner Straße 54. Zum damaligen Zeitpunkt sah die Familie Stern noch eine Zukunft in unserer Gemeinde.
Aus der Ehe gingen die Söhne Siegfried, geb. 1908, Max, geb. 1910 und Leo, geb. 1911, hervor.
Albert Stern und seine Frau Anna wurden zusammen mit 17 weiteren Malscher Juden am 22. Oktober 1940 festgenommen und nach Gurs deportiert, wo Anna Stern im Lager am 20. Januar 1941 verstarb. Im Lager Gurs befanden sich nicht nur die letzten 19 Malscher Juden, sondern weit über 6.000 Menschen aus Baden, der Pfalz und dem Saarland, die alle mit neun Sonderzügen am 22. Oktober 1940 in das südfranzösische Lager Gurs transportiert wurden. Die NS-Gauleiter von Baden und der Pfalz, Robert Wagner und Josef Bürckel erklärten ihre „Gaue“ als die ersten im Deutschen Reich für „judenfrei“.
Nachdem seine Frau verstorben war, kam Albert Stern von Gurs in das Lager Cap de Milles von wo er im August 1941 in die USA gelangen konnte. Der jüngste Sohn Leo, wanderte bereits Ende 1937 nach Uruguay/Südamerika aus. Der älteste Sohn Siegfried emigrierte Ende April 1938 in die USA, während Max Stern nach einer Mitteilung des Israelischen Dokumentationszentrums Yad Vashem in Auschwitz sein Leben verloren hat.
Adlerstraße 8
Max Maier, geb. 1867 wohnte mit seiner Schwester, Sophie, geb. 1863 im Hause ihres Bruders, des Viehhändlers, Isidor Maier, in der Adlerstraße 8. Isidor Maier ist mit seiner Familie noch rechtzeitig, am 19. Juli 1938, in die USA ausgewandert. Dadurch blieb ihnen das Schicksal der übrigen Familienangehörigen erspart.
Max und Sophie Maier gehörten zu den 19 Malscher Juden, die am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert wurden.
Die Lagerverwaltung Gurs war auf die Unterbringung und Verpflegung der über 6.000 Menschen die sich im Lager befanden, in keiner Weise vorbereitet. Es fehlten ausreichend Nahrung, Medizin und Kleidung. Viele der von ihrer plötzlichen Abschiebung überraschten Juden und Jüdinnen hatten in ihrem Schrecken nicht daran gedacht, genügend warme Kleidung mitzunehmen. Zu der bitteren Kälte in Gurs kam noch eine Ruhr-Epidemie, die Hunderten von Menschen das Leben kostete.
Dabei war auch Sophie Maier die im Lager Gurs am 14. Juli 1941 verstarb. Ihr Bruder Max Maier verstarb kurze Zeit später, ebenfalls in Gurs, am 5. September 1941.
Adlerstraße 50
An dieser Stelle stand früher ein Fachwerkhaus in welchem Hermine, die Mutter von Ludwig Dreifuss, Stoffe und ähnliche Artikel verkaufte. Nach dem Tode seiner Mutter übernahm der ledige Sohn Ludwig Dreifuss das Haus und führte das Tuchgeschäft weiter. Ludwig Dreifuss, geb. 1894 war Frontkämpfer im 1. Weltkrieg aus dem er verwundet zurückkehrte.
Er gehörte zu den 19 Malscher jüdischen Mitbürgern, die am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert wurden.
So wie im jüdischen Gedenkbuch für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft festgehalten, verstarb Ludwig Dreifuss am 4. März 1943 im Vernichtungslager Maydanek.
Leopold Stern wohnte zur Miete bei Ludwig Dreifuss. Er war ein Bruder von Friedrich und Albert Stern. Leopold Stern wurde 1872 in Malsch geboren. Auch er gehörte zu den letzen 19 Malscher jüdischen Mitbürger die am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert wurden. Leopold Stern verstarb am 22. März 1941 wie viele Malscher Juden im Lager Gurs.
Adlerstraße 72
Löb Maier, geb. 1877 wohnte mit seiner Ehefrau Berta Maier, geb. 1877 bis zur Deportation nach Gurs am 22. Oktober 1940 in ihrem Wohnhaus in der heutigen Adlerstraße 72. Über die Deportation von Berta und Löb Maier liegt ein Zeitzeugenbericht von Eugen Heinzler vor:
„Ich war gerade im Hof bei meinen Großeltern Theresia und Anselm Heinzler und sah, wie die jüdischen Nachbarn meiner Großeltern, Löb und Berta Maier, mit einem Holz-Leiterwagen beladen mit Brennholz in ihren Hof in der Adlerstraße fuhren. Dort stand der Malscher Ortspolizist und erwartete die beiden bereits. Es gab ein kurzes Gespräch. Daraufhin ließen die Eheleute ihren Holz-Leiterwagen mit dem Brennholz im Hof stehen und gingen sofort in ihr Haus. Es dauerte keine halbe Stunde, und beide kamen gemeinsam mit einem Koffer und einer Tasche aus dem Haus. Seit diesem Zeitpunkt habe ich beide nicht mehr gesehen.“
Löb Maier war Frontkämpfer im 1. Weltkrieges. Ihm wurde 1935 das „Ehrenkreuz für Frontkämpfer“ durch den damaligen Bürgermeister verliehen. Er ist am 24. September 1941 verstorben, während seine Frau Berta das Lager Gurs überlebte. Berta Maier blieb zunächst in Frankreich und übersiedelte 1947 zu ihrem Bruder Fred in die USA.
Adlerstraße 5
Salomon Stern wurde am 1864 in Malsch geboren. Er wohnte bei seiner ledigen Schwester Emilie Stern, geb. 1872. Beide gehörten zu den 19 Malscher Juden, die am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert wurden.
Salomon Stern verstarb im Lager Gurs am 7. Oktober 1941. Seine Schwester Emilie Stern überlebte die Deportation. Sie blieb in Frankreich und verstarb 1952 in einem französischen Altersheim.
Friedrichstraße 59
Josef Stein, geb. 1871 wohnte zur Miete in einem Wohnhaus in der Friedrichstraße 59. Er und seine Frau Fanny geb. 1879 gehörten zu den 20 Malscher Juden, die am 13. Mai 1939 versucht haben, Deutschland mit dem Hapag-Dampfer „St. Louis“ zu verlassen auf dem sich über 900 Juden aus ganz Deutschland befanden. Nach einer Irrfahrt die bis zum 17.
Juni 1939 dauerte, konnte durch lange Verhandlungen erreicht werden, dass die Passagiere nicht mehr nach Deutschland zurück mussten, sondern in Antwerpen an Land gehen durften, nachdem zuvor kein Staat bereit war die Juden aufzunehmen.
Von den 20 Malscher Passagieren die in Antwerpen an Land gehen durften, kamen 7 Personen nach Großbritannien, die restlichen 13 Personen blieben in Belgien. Josef und Fanny Stein waren unter den 7 Malscher Juden, die nach Großbritannien kamen. Von diesen gelangten, bis auf Josef Stein, der in Großbritannien verstarb, alle übrigen Malscher jüdischen Mitbürger in die Vereinigten Staaten.
Es gab auch Opfer der Nazi-Herrschaft, die keine Juden waren
Dazu zählen u.a. auch die systematische Ermordung von psychisch erkrankten und geistig behinderten Menschen. Auch heute nach 70 Jahren, gehört der Krankenmord an hilfsbedürftigen und wehrlosen Patienten immer noch zu denjenigen Großverbrechen der NS-Geschichte, die neben dem Holocaust für das Ende der Humanität in der Zeit des Nationalsozialismus steht. Diese systematischen Krankenmorde im Jahre 1940 wurden zum Modell für die anschließende Vernichtung der Juden. Nachweislich gab es 5 Euthanasie-Opfer aus Malsch, die von verschiedenen Pflegeanstalten im Jahre 1940 nach Grafeneck in die so genannte Landespflegeanstalt verbracht, dort vergast und anschließend verbrannt wurden. Organisiert wurden diese Euthanasiemorde von der NS-Verwaltung in Berlin, Tiergartenstraße 4, weshalb die Aktion T 4 genannt wurde.
Waldprechtsstraße 19
Anton Kühn, geb. am 1890 war von 1926 bis 1928 in der Kreispflegeanstalt Hub. Ab dem 28. November 1928 wurde er in die Heil- und Pflegeanstalt Emmendingen verlegt. Von dort wurde am 23. September 1940 ein Transport nach Grafeneck zusammengestellt. Bei diesem Transport befand sich auch Anton Kühn, der noch am Transporttag in Grafeneck umgebracht wurde.
Den Angehörigen von Anton Kühn, sowie dem Katholischen Pfarramt in Malsch wurde als falscher Todestag, der 7. Oktober 1940, als gefälschte Todesursache „Akute Hirnschwellung“ und als Todesort Grafeneck mitgeteilt. Die Urne mit der Asche wurde am 14. November 1940 auf dem Friedhof in Malsch beigesetzt.
Hauptstraße 113
Den Angehörigen und dem Pfarramt Malsch wurden von der Landes-Pflegeanstalt Grafeneck mitgeteilt, dass Alfred Walz am 4. Juni 1940 in Grafeneck verstorben ist. Als Todesursache wurde den Angehörigen Nasenfurunkel und Hirnhautentzündung mitgeteilt. Seine Asche wurde am 25. Juni 1940 auf dem hiesigen Friedhof beigesetzt.
Aus welcher Pflegeanstalt Alfred Walz nach Grafeneck eingeliefert wurde konnte nicht mehr festgestellt werden. Ob die gemeldeten Daten zutreffen war ebenfalls nicht mehr nachzuprüfen.
Der Begriff „Euthanasie“ bedeutet wörtlich übersetzt „richtiger oder guter Tod“. Dieser richtige oder gute Tod war leider keinem Euthanasie-Opfer der Nazi-Herrschaft vergönnt. Um die Tötung der schwächsten in der Gesellschaft, den Kranken und Behinderten, zu rechtfertigen, gebrauchte man für diese Menschen Ausdrücke wie „Tiermenschen“, „leere Menschenhülsen“, „Ballastexistenzen“, „lebensunwerte und unnütze Individuen“, „Menschenruinen mit tierischem Instinkt“ und ähnliches.
Blumenstraße 3
Alfons Ernst, geb. 1911 in Malsch befand sich ab 1938 in der Heil und Pflegeanstalt Emmendingen. Mit dem Transport am 15. Juli 1940 gelangte er von dort nach Grafeneck wo er noch am gleichen Tage ermordet wurde.
Den Angehörigen und dem Katholischen Pfarramt wurde mitgeteilt, dass Alfons Ernst am 27. Juli 1940 in der Heilanstalt Hartheim bei Linz an Nierenentzündung verstarb. Diese Daten waren wie üblich durch ein eigens in Grafeneck eingerichtetes Standesamt gefälscht worden
Seine Asche wurde am 21. August 1940 auf dem Friedhof Malsch beigesetzt.
In nicht einmal zwei Jahren, zwischen Januar 1940 und August 1941, wurden in Deutschland über 70.000 psychisch kranke und geistig behinderte Menschen ermordet. Man begründete diese Euthanasie-Morde mit:
Neben Grafeneck wurden an weiteren fünf Orten in Deutschland Tötungsanstalten mit Vergasungsanlagen und Krematorien eingerichtet.
Leerstraße 2
Frieda Kastner wurde am 13. April 1915 in Malsch geboren. Nachdem Frieda Kastner an Hirnhautentzündung erkrankte wurde sie in die Heil- und Pflegeanstalt Kork eingewiesen
Aufgrund des Kriegsbeginns am 1. September 1939 wurden die Korker Anstalten in der Nacht vom 3./4. September 1939 nach Stetten im
Remstal evakuiert. Dort erreichte den Leiter der Heil- und Pflegeanstalt ein Schreiben des Innenministers aus Karlsruhe vom 22. Mai 1940 in dem mitgeteilt wurde, dass die Verlegung der 75 Kranken aus der beigelegten Liste angeordnet wurde. Die Abholung der Kranken erfolgte im Auftrag des Innenministers am 28. Mai 1940 durch die gemeinnützige Krankentransport GmbH. In dem Schreiben wurde weiter mitgeteilt, dass der Transport von der Anstalt vorzubereiten ist und dass unruhige Kranke mit entsprechenden Mitteln für den mehrstündigen Transport „zu behandeln“ sind. Weiter wurde festgelegt, dass die Krankenakten dem Transportleiter ausgehändigt werden müssen. Außerdem waren für jeden Kranken die Personalien zu vermerken. Am 28. Mai 1940 kamen dann die sogenannten „grauen Busse“ nach Stetten. Sie brachten 70 Mädchen und Frauen, unter ihnen auch Frieda Kastner, nach Grafeneck wo sie ausnahmslos noch am gleichen Tage ermordet wurden. Den Eltern und dem Pfarramt in Malsch wurde das gefälschte Todesdatum 20. Juni 1940 und eine gefälschte Todesursache gemeldet. Die Urne von Frieda Kastner wurde laut Sterbebuch des Pfarramtes Malsch am 11. Juli 1940 auf dem Malscher Friedhof beigesetzt.
Lindenstraße 1
Von dem ledigen Franz Karl Zimmer ist nur bekannt, dass er von der Pflegeanstalt Rastatt nach Grafeneck gebracht wurde.
Den Angehörigen von Franz Karl Zimmer und dem Kath. Pfarramt wurde mitgeteilt, dass Franz Karl Zimmer am 4. April 1940 an einer Grippe in Grafeneck verstorben ist. Die Leiche wurde in Grafeneck eingeäschert und die Asche am 7. Mai 1940 auf dem hiesigen Friedhof eingesegnet und beigesetzt. Es ist davon auszugehen, dass sowohl das Todesdatum wie auch die Todesumstände nicht den Tatsachen entsprechen.
Die Pflegeanstalt Rastatt bekam bereits am 4. September 1939 einen Räumungsbefehl. Einen Tag später wurden 579 Kranke (303 Männer und 276 Frauen) in die Heilanstalt Zwiefalten/Württemberg verlegt. Den Angehörigen wurde als Grund der Verlegung, die Räumung der roten Zone wegen der Grenznähe zu Frankreich mitgeteilt. Bei Kriegsbeginn am 1. September 1939 mussten sämtliche Ortschaften welche sich in der roten Zone befanden geräumt werden. In der Anstalt Zwiefalten gab es eine Abteilung „Pflegeanstalt Rastatt“ unter der selbständigen Leitung des Direktors Dr. Schreck. Die Patienten wurden vom Rastatter Personal gepflegt und betreut.
Die Anstalt Rastatt in Zwiefalten wurde am 15. Juni 1940 aufgelöst, nachdem vermutlich die meisten Insassen bereits getötet worden waren
Frank Teske hat in seinem Buch „Der Landkreis Karlsruhe in der NS-Zeit“ feststellt, dass 79 Einwohner von Malsch angezeigt wurden, bei denen der Verdacht bestand, unter die Bestimmungen des GzVeN zu fallen. Mindestens 17 Personen wurden in Malsch zwangsweise sterilisiert. Die Bürgermeisterämter der einzelnen Gemeinden waren bei der Umsetzung dieses Gesetzes mehr oder weniger eingebunden. Sie mussten Berichte über einzelne Personen erstellen, aber auch Personen melden, die von dem Gesetz betroffen waren. Nach den vorhandenen Unterlagen im Gemeindearchiv von Malsch kann man feststellen, dass sich in den meisten Fällen der Bürgermeister bei Anfragen des Staatlichen Gesundheitsamtes, Abteilung Erb- und Rassenpflege, nicht negativ äußerte und dadurch versuchte, die Unfruchtbarmachung abzuwenden.
Von amtlichen Stellen wurde auf verschiedene Arten versucht, alle Personen ausfindig zu machen, welche körperlich und geistig behindert waren. So mussten Ärzte und Apotheken ab 1933/1934 betroffene Personen den Gesundheitsämtern melden. Dazu dienten unter anderem auch die aus der Weimarer Republik bekannten „Krüppelberatungsstunden“.
Das Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes vom 18. Oktober 1935 (Ehegesundheitsgesetz) verlangte die Ehetauglichkeit der Brautleute. Es durfte nur noch heiraten, wer zuvor vom Gesundheitsamt eine „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ erhalten hatte.
Aktiv war der Bürgermeister auch eingeschaltet, um bei der Bevölkerung von Malsch Verständnis für die Notwendigkeit der nationalsozialistischen rassepolitischen Gesetzgebung zu wecken. So wurde im April 1937 im Schulfilmsaal des neu renovierten Schulhauses der Film „Abseits vom Wege“ gezeigt. Der Film sollte einen Einblick in das Leben einer Anstalt vermitteln, „wo Licht, Luft und Sonne ist“, während ein Teil der „erbgesunden Volksgenossen“ in Elendswohnungen ihr Dasein fristen muss. „Nicht selten sind ganze Sippen solcher Erbkranker in Anstalten untergebracht, die dem deutschen Volke ungeheure Summen von Geld kosten, selbst aber gar nichts nützen“. Dies konnten die Malscher Bürger im Gemeinde-Anzeiger nachlesen:
Mit solchen Filmen, die vom „Rassepolitischem Amt der NSDAP“ erstellt wurden, versuchte man, die moralischen Bedenken der Bevölkerung zu zerstreuen.
Ab dem Jahre 1939 begann man mit der Planung und Ausführung, der systematischen Ermordung von psychisch erkrankten und geistig behinderten Menschen. Auch heute, nach nunmehr über 70 Jahren, gehört der Krankenmord an hilfsbedürftigen und wehrlosen Patienten noch immer zu denjenigen Kapiteln der NS-Geschichte, denen sich das menschliche Erinnerungs- und Vorstellungsvermögen nur schwer zu nähern vermag. Neben dem Holocaust steht dieses politische Großverbrechen wie kein anderes für das Ende der Humanität in der Zeit des Nationalsozialismus.
Die Opfer der Euthanasie
Im Gegensatz zu den Erkenntnissen von Frank Teske in seinem Buch „Der Landkreis Karlsruhe in der NS-Zeit“, der von keinem Euthanasie-Opfer aus Malsch ausgeht, wurde von den Heimatfreunden Malsch festgestellt, dass in Grafeneck im Jahre 1940 fünf Malscher Bürger umgebracht wurden.
Am 28. Mai 1940 kamen die berüchtigten „grauen Busse“ zum Beispiel nach Stetten. Sie brachten 70 Mädchen und Frauen, darunter auch eine Malscherin, die ursprünglich in Kork untergebracht war, nach Grafeneck, in die so genannte Landes-Pflegeanstalt wo sie ausnahmslos noch am gleichen Tage ermordet wurden.
Im Euthanasieprozess nach dem Kriege wurde festgehalten, wie der Tötungsvorgang in Grafeneck ablief:
„Nach Eintreffen des Transports in Grafeneck wurden die eingelieferten Menschen in die Aufnahmebaracke geführt, dort vom Schwesternpersonal in Empfang genommen, entkleidet, gemessen, gewogen, fotografiert und dann zur Untersuchung gebracht. Diejenigen Personen, die Goldzähne besaßen, wurden besonders gekennzeichnet. Schließlich führte man die Menschen den Ärzten zur letzten Untersuchung vor. In manchen Fällen wurden dabei Beruhigungsspritzen gegeben, in den meisten Fällen dauerte die Untersuchung nur wenige Sekunden bis zu einer Minute. In Grafeneck nahmen sie die Ärzte Dr. Schumann, Dr. Hennecke und ab April 1940 Dr. Baumhard vor. Sie diente aber in der Regel nicht dem Zweck einer nochmaligen Überprüfung des Krankheitszustandes, um sozusagen auf diese Weise eine letzte Auswahl zu treffen, sondern sie wurde dazu benutzt, die sachliche und personelle Richtigkeit der vorgestellten Menschen zu überprüfen und auffallende Kennzeichen zu notieren, die für die Erstellung einer späteren Todesursache von Bedeutung sein konnten. Nachdem die Untersuchung abgeschlossen war, setzte sich der Zug der Ahnungslosen in Bewegung. Den jetzt nur noch spärlich Bekleideten wurde zum Teil ein alter Militärmantel überworfen, dann ging es durch ein Tor im Bretterzaun, vorbei am rauchenden Krematorium, zum Todesschuppen. Die Tötung erfolgte durch Kohlenmonoxidgas, das der Anstaltsarzt durch Bedienen eines Manometers in den Vergasungsraum einströmen ließ. Die erforderlichen Stahlflaschen lieferte die Firma Mannesmann, die Befüllung besorgte die IG Farben-Industrie (BASF) im Werk Ludwigshafen. Beim Betreten des Vergasungsraumes wurden die Kranken höchstens 75 Personen, nochmals gezählt, sodann die Tore geschlossen. Anfangs schienen einige Opfer noch geglaubt zu haben, es gehe tatsächlich zum Duschen, andere begannen sich im letzten Augenblick zu wehren und schrien laut. Die Zufuhr des Gases betrug in der Regel etwa 20 Minuten; sie wurde eingestellt, wenn sich im Vergasungsraum keine Bewegung mehr feststellen ließ. Geraume Zeit nach der Vergasung öffneten Hilfskräfte, die Gasmasken trugen, die Flügeltore. Ihnen bot sich in der Regel ein schrecklicher Anblick. Die Körper der Toten und der Boden des Vergasungsraumes waren mit Stuhl, Menstruationsblut und Erbrochenem beschmutzt, manche Leichen waren ineinander verkrallt und mussten mit Gewalt voneinander getrennt werden. Dasjenige Personal, welches die Krematoriumsöfen bediente, deswegen manchmal auch „Brenner“ genannt, war auch zuständig für den Abtransport der Leichen zu den Öfen. Vorher wurden den mit einem Kreuz bezeichneten Patienten die Goldzähne ausgebrochen und bei der Verwaltung abgeliefert; das so gewonnenen Rohmaterial wurde sodann bei Degussa zu Feingold verarbeitet.“
Gewissheit über den Tod der 70 Frauen erhielt die Anstaltsleitung nach und nach über Briefe von Angehörigen. Sie zeigten sich in ihren Briefen überrascht darüber, dass die Pfleglinge sich nicht mehr in der Korker Anstalt befanden. Häufig konnten sie auch den plötzlichen Tod nicht verstehen, da sie ihre Angehörigen zuletzt bei gutem Gesundheitszustand gesehen hatten.
Wie heute bekannt ist, wurden in dem eigens dafür eingerichteten Standesamt auf Schloss Grafeneck falsche Beurkundungen ausgestellt, um den Angehörigen den Grund der Ermordung zu verschleiern.
Sofern die Urne mit den sterblichen Überresten von einem Angehörigen angefordert wurde, hat man eine Urne mit irgendwelcher Asche an den gewünschten Friedhof übersandt.
Katholischer Monatsbote der Pfarrgemeinde Malsch
Sofern man den Katholischen Monatsboten der Pfarrgemeinde Malsch vom Juni/Juli des Jahres 1940 aufmerksam liest, kann man feststellen, dass alleine im 2. Vierteljahr 1940 von den insgesamt verstorbenen 16 Malscher Katholiken drei Mitbürger in Grafeneck verstorben sind:
Neben der Aufstellung der verstorbenen katholischen Bürger von Malsch, befinden sich in diesem Heft auch Artikel über:
In dem Artikel „Zeit des Heldentums“ wird unter anderem erwähnt, dass man auch fern von den Schlachtfeldern des Krieges, mitten im täglichen Leben, wahrem Heldentum begegnen kann. Als Beispiel wird aufgeführt, dass ein Mensch, der in schwerer Krankheit darniederliegt und sein Siechtum, seine Schmerzen, seine körperliche Hilflosigkeit in stiller Gelassenheit trägt, eine heldische Haltung zeigt.
In dem Artikel „Normal oder abnormal ?“ wird ein Gleichnis erzählt von einem Wandersmann, der sich im Nebel in den Bergen verlaufen hatte und in ein Dorf kam, in dem alle Einwohner nur ein Auge hatten, auf dem rechten Bein hinkten und einen großen Buckel trugen. Kaum hatte der Fremde das Dorf betreten, bemerkte er, dass sein Erscheinen peinliches Aufsehen erregte. So etwas hatten die Menschen im Dorf noch nicht gesehen. Der hatte zwei Augen, und das eine Bein war nicht kürzer, sondern ebenso lang wie das andere; und dann hatte er nicht einmal einen Buckel! Der Wirt des Lokals in dem der Fremde speiste, trat zu ihm uns sagte: Nehmen Sie es den Leuten nicht übel. Was können Sie armer Mensch dafür, dass sie nicht normal gewachsen sind. Man hat eben in diesem Dorf noch nie ein Krüppel gesehen.
In dem Artikel „Barmherzige Schwestern aus der Pfarrei“ wird über die von christlicher Nächstenliebe getragene Arbeit der insgesamt 39 barmherzigen Schwestern aus Malsch, Sulzbach und Waldprechtsweier berichtet. Ihnen ist die Betreuung der Armen, der Kranken, der Kinder, der Hilfsbedürftigen in Krankenhäusern, in Kindergärten und in Heimen anvertraut.
Diese Artikel können nach Ansicht von Thomas Stöckle, Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gedenkstätte Grafeneck, als ein „stiller Protest“ unseres damaligen Pfarrers Karl Riehle zu den gehäuften Todesfällen in Grafeneck bewertet werden.
Schlussbetrachtung
Neben den fünf Malscher Mitbürgern, die im Jahre 1940 in Grafeneck umgebracht wurden, starben weitere Malscher Bürger in Pflegeanstalten während der NS-Zeit. Unter welchen Umständen ihr Tod eintrat, konnte nicht ermittelt werden.
Heute werden wieder Kosten-Nutzen-Analysen bei alten Menschen, bei Behinderten und Kranken erstellt. Das Lebensrecht der Menschen wird oftmals in Frage gestellt. Sofern man sich an solchen Diskussionen beteiligt, sollte man sich immer im klaren sein, was in der Vergangenheit bei den gleichen Fragestellungen passierte. Auch muss jedem bewusst sein, dass hinter jeder Antwort ein Menschenleben steht.
Quellenangabe: „Grafeneck 1940“ von Thomas Stöckle
Broschüre der Anstalt Kork von Klaus Freudenberger
„Der Landkreis Karlsruhe in der NS-Zeit“ von Frank Teske
„Die Fahrt ins Graue(n)“ von Gabriel Richter
Archiv der Gemeinde Malsch
Kirchenbücher des Katholischen Pfarramtes Malsch
Unterlagen der Heimatfreunde Malsch
Dokumentation von Josef Bechler (September 2012) über die Euthanasie-Aktion T4:
Die Euthanasie-Opfer von Malsch
Vorbemerkung
Der Begriff „Euthanasie“ bedeutet wörtlich übersetzt „richtiger oder guter Tod“. Dieser richtige oder gute Tod war leider keinem Euthanasie-Opfer der Nazi-Herrschaft vergönnt. Um die Tötung der schwächsten in der Gesellschaft, den Kranken und Behinderten, zu rechtfertigen, gebrauchte man für diese Menschen Ausdrücke wie „Tiermenschen“, „leere Menschenhülsen“, „Ballastexistenzen“, „lebensunwerte und unnütze Individuen“, „Menschenruinen mit tierischem Instinkt“ und ähnliches.
In nicht einmal zwei Jahren, zwischen Januar 1940 und August 1941, wurden in Deutschland über 70.000 psychisch kranke und geistig behinderte Menschen ermordet. Man begründete diese Euthanasie-Morde mit:
An sechs Orten in Deutschland wurden hierfür mit Vergasungsanlagen und Krematorien ausgestattete Tötungsanstalten errichtet.
Einer dieser Orte war das Schloss Grafeneck (Gemeinde Gomadingen) bei Münsingen auf der Schwäbischen Alb. Schloss Grafeneck, das als Jagd- und Sommerschloss der württembergischen Herzöge gedient hatte, befand sich seit 1928 im Besitz der Samariterstiftung Stuttgart. Abgelegen auf einer lang gestreckten Anhöhe der Schwäbischen Alb, entsprach es in idealer Weise den Organisations- und Geheimhaltungskriterien der Euthanasie-Planer.
Grafeneck wurde zum Vorbild für alle weiteren Vernichtungsanstalten in Deutschland. In Grafeneck nahm die NS-Euthanasie ihren Anfang.
Die Krankenmordaktion begann im Herbst 1939 mit der Erfassung der potenziellen Opfer auf Meldebögen durch die Pflegeanstalten. In der Tiergartenstraße 4 in Berlin befand sich die Zentrale für die Leitung der Ermordung behinderter Menschen im gesamten Reich, weshalb für Euthanasie nach dem Kriege auch das Kürzel „Aktion T4“ namensgebend wurde.
Nach Einstellung der „Aktion T4“ im August 1941 durch die Berliner Zentrale wurde die Euthanasie dezentral und damit unauffälliger weitergeführt.
Das Töten im Rahmen der „Aktion T4“ gehörte zur stufenweisen Verwirklichung der nationalsozialistischen Ideologie, die mit den Massenmorden an Juden und anderen Minderheiten endete.
„Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“
Die erste Stufe nationalsozialistischer Bevölkerungspolitik war die Verabschiedung des am 1. Januar 1934 in Kraft tretenden „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (GzVeN). Es wurde kurz nach der Machtübernahme am 14. Juli 1933 beschlossen. Dieses Gesetz bildete die Grundlage um Zwangssterilisationen vornehmen zu können. Das Gesetz wurde zur Schicksalsfrage Deutschlands erklärt, wie man im Gemeinde-Anzeiger vom 21. März 1934 nachlesen konnte: